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Die Zukunft der Bioprozesstechnik und der Single-Use Technologie

Ein Interview mit dem Bioprozess-Experten Ralph Daumke

Von Daniel Prause,

RAUMEDIC hatte die Gelegenheit, ein Interview mit Ralph Daumke zu führen.

Ralph Daumke

Ralph Daumke ist Experte für Single-Use-Anwendungen in der Bioprozesstechnik. Von Beruf Market Manager bei Pendotech, engagiert er sich ehrenamtlich im Vorstand der weltweit agierenden Bio-Processing Systems Alliance (BPSA) sowie in der DECHEMA-Expertengruppe "Single-Use-Technologien für biobasierte Anwendungen".

Der studierte Biotechnologe, der während seines Studiums einen Aufenthalt am weltbekannten Massachusetts Institute of Technology (MIT) absolvierte, ist Experte für Single-Use-Systeme für Upstream- und Downstream-Processing in der Entwicklung und Produktion von Biopharmazeutika. 

Ralph, mit Ihrem umfangreichen Hintergrund in der Biotechnologie und Ihren Funktionen bei BPSA und DECHEMA: Wie sehen Sie die Zukunft des Marktes für Single-Use-Equipment für Bioprozessanlagen?

"Der Markt geht von einer Hype-Phase in eine Normalisierung über." - Ralph Daumke über den aktuellen Stand des Marktes für Single-Use-Equipment für Bioprozesse.

Der Markt geht von einer Hype-Phase zur Normalisierung über. Der Hype basierte im Wesentlichen auf der COVID-19-Pandemie, die sich aufgrund der beispiellosen weltweiten Nachfrage nach Impfstoffen als Schub für die Branche erwies. 

Aufgrund der Unsicherheit, die durch unterbrochene Lieferketten und eine Knappheit an Single-Use-Equipment verursacht wurde, versuchte jeder, sich mit entsprechenden Produkten einzudecken, um Produktionsstillstände zu vermeiden.

Wir treten also jetzt in eine Phase der "Normalisierung" ein? Was ist damit gemeint?

Trotz einiger turbulenter Jahre erwarten die Analysten einen stetig wachsenden Markt. Das deckt sich mit meinen persönlichen Beobachtungen - und den Erfahrungen vieler meiner Kollegen und Netzwerkpartner.

Insgesamt hat die biopharmazeutische und biotechnologische Industrie eine bemerkenswerte Widerstandsfähigkeit bewiesen und ist weiterhin innovativ, was der Schlüssel für ihren künftigen Erfolg ist. Dies sind gute Nachrichten für die Zulieferer: Das Beste kommt noch!

Die Vereinigten Staaten haben den größten Anteil am biopharmazeutischen Markt. Wird Europa angesichts der zu erwartenden wachsenden Bedeutung dieses Marktes abgehängt - wie wir es bei anderen wichtigen wirtschaftlichen Trends gesehen haben?

Biopharma ist ein globales Geschäft. Genau wie die bekannten "Big Pharma"-Unternehmen sind auch die großen biopharmazeutischen Unternehmen multinationale Einheiten. Diese globale Präsenz ist vor allem in Europa von Bedeutung, wo der Bedarf an Biopharmazeutika und damit verbundenen Produkten, einschließlich Single-Use Ausrüstung, sowohl lokal als auch international gedeckt wird. 

Mit dem Wachstum der europäischen Pharmaunternehmen zeichnet sich ein Trend zur Entwicklung einer lokalen Zulieferindustrie ab. Das bedeutet, dass mit der Expansion der biopharmazeutischen Unternehmen auch die lokalen Lieferketten zur Unterstützung der Geschäftstätigkeit zunehmen.

Wenn die Zulieferer mit Biopharma als Partnerindustrie wachsen, was sollten sie dann über ihre Industriepartner wissen? Oder anders formuliert: Was sollten Zulieferer auf keinen Fall tun, wenn sie versuchen, eine Partnerschaft mit Vertretern der Industrie einzugehen?

Ich kann nicht genug betonen, wie wichtig es ist, die spezifischen Bioprozesse der Kunden auf individueller Ebene zu verstehen. Nur so kann man wirklich präzise Lösungen anbieten, die auf die spezifischen Probleme des Kunden zugeschnitten sind, und nicht unpassende, die den Eindruck erwecken, dass die Zulieferer nur ein Geschäft machen wollen, ohne die Bedürfnisse des Kunden verstanden zu haben.

Es ist von entscheidender Bedeutung, von Anfang an in die Produktauswahl einbezogen zu werden, bevor ein Prozess beim Kunden eingeführt wird; die Änderung eines validierten Prozesses ist nahezu unmöglich. Die Kenntnis der Arbeitsabläufe beim Kunden, der anstehenden Pläne und der Art und Weise, wie die eigenen Produkte diese Pläne unterstützen können, ist unerlässlich.

Ralph Daumke betont, wie wichtig es ist, die Kunden auf einer persönlichen Ebene zu verstehen - und die individuellen Probleme, die sie zu lösen haben, wirklich zu schätzen.

Das scheint eine schwierige Aufgabe zu sein. An wen sollte sich jemand wenden, der wirklich daran interessiert ist, diese wichtigen Informationen zu erhalten?

Der Schwerpunkt sollte darauf liegen, zunächst mit Technikern und nicht mit Supply Chain- oder Einkaufsabteilungen zu sprechen, da die technischen Vorzüge im Vordergrund stehen. Kaufentscheidungen, insbesondere bei der globalen Beschaffung für multinationale Unternehmen, werden erst später getroffen und von den dargestellten technischen Vorteilen beeinflusst.

Und auf Produktebene? Was sind die "must haves" für Anbieter - und wie erzeugen ihre Produkte Aufmerksamkeit im Markt?

Im Kontext von "Me-too"-Produkten sind Präsenz, schneller Musterversand und Alleinstellungsmerkmale (USPs) entscheidend. Die Verfügbarkeit und schnelle Lieferung von Komponenten kann die Kundenzufriedenheit erheblich beeinflussen. 

Darüber hinaus sind die technischen Spezifikationen der Produkte von entscheidender Bedeutung, was die Notwendigkeit eines umfassenden Verständnisses und einer umfassenden Kommunikation in den Verkaufsstrategien unterstreicht, um die Anforderungen der Kunden im Bereich der Bioprozesse effektiv zu erfüllen und zu unterstützen.

Sie haben bereits über das Problem der Lieferketten während der COVID-19-Pandemie gesprochen. Haben Biopharma und Biotech aus Ihrer Sicht ihren Ansatz bei der Beschaffung geändert?

Ehrlich gesagt ist es schwer vorherzusagen, welche Strategie in Zukunft am weitesten verbreitet sein wird. In der Vergangenheit gab es eine klare Tendenz, Just-in-Time-Lieferungen zu bevorzugen, wobei schnelle Reaktions- und Lieferzeiten entscheidend waren. 

Während und nach COVID haben alle ihre Lager mit genügend Ausrüstung bestückt, so dass die Bioprozesse nicht gefährdet waren. Ich kann nur sagen, dass die Unternehmen aus dem Schock der Pandemie gelernt haben und für ähnliche Situationen in Zukunft besser gerüstet sind.

Jetzt, wo wir in eine Phase der Normalisierung in der Branche eintreten, was sind einige aktuelle Themen, über die jeder bei Netzwerktreffen spricht? Können Sie zwei oder drei Dinge nennen, die scheinbar immer wieder zur Sprache kommen?

Die Lieferzeiten bleiben eine Herausforderung. Auch Nachhaltigkeitsinitiativen werden zunehmend verfolgt - allerdings meist auf Gesamtunternehmensebene. Das drohende Verbot von PFAS (Per- und Polyfluoralkylsubstanzen) ist nach wie vor ein Thema. Ferner geht es darum, Prozesse durch Automatisierung effizienter und schneller zu machen, auch wenn die Umsetzung komplex ist. 

Auch die Standardisierung ist ein immer wiederkehrendes Thema, das jedoch ohne erheblichen Druck seitens der Kunden oder der Aufsichtsbehörden wie der FDA oder der EMA nur schwer zu erreichen ist, da die Hersteller möglicherweise nicht bereit sind, freiwillig auf Einnahmen zu verzichten, die ihnen durch die Standardisierung entgehen könnten. Abgesehen von diesen allgemeineren Fragen steht die Branche immer wieder vor spezifischen technischen Herausforderungen, die gezielte und maßgeschneiderte Lösungen erfordern.

Eine der großen Hoffnungen, die in die Biopharmazie gesetzt werden, ist die Aussicht auf Behandlungen, die auf die Bedürfnisse der Patienten zugeschnitten sind - das geht so weit, dass eine wirklich individualisierte Medizin möglich wird. Hat diese Aussicht bereits Auswirkungen auf die Herstellung von Biopharmazeutika?

"Es gibt eine Bewegung weg von chemisch basierten Arzneimitteln - hin zu Biopharmazeutika in kleineren Chargengrößen" - Ralph Daumke über die Zukunftsaussichten der individualisierten Medizin.

Es gibt eine Bewegung hin zu individuelleren Behandlungen, die mit einer Abkehr von den ausschließlich "massenproduzierten" chemisch basierten Arzneimitteln hin zu Biopharmazeutika in kleineren Chargengrößen, z.B. 100 Liter, einhergeht. 

Die so genannten "Blockbuster"-Kampagnen, bei denen große Chargen eines einzelnen (Bio-)Arzneimittels hergestellt werden, werden jedoch voraussichtlich noch lange Zeit bestehen bleiben.

Ein wichtiger Aspekt der Produktion in kleinerem Maßstab ist die Automatisierung. Sie haben die Automatisierung bereits erwähnt. Wie ist der Stand der Automatisierung in der Bioprozessindustrie - und wie sieht es im Vergleich zu anderen Branchen aus?

In der Bioprozessindustrie erstreckt sich die Automatisierung von der vorgelagerten bis zur nachgelagerten Stufe, vor allem bei der Zellkultur und der Ernte. „Big Pharma“ nutzt große, minimal bemannte Automatisierungslinien. Während die Prozessüberwachung teilweise automatisiert ist, bleibt die vollständige Prozessautomatisierung ein entferntes Ziel. 

Wenn Automatisierung implementiert wird, ist sie in der Regel stark an die Gegebenheiten des jeweiligen Unternehmens angepasst, was auf den Bedarf an maßgeschneiderten Lösungen zur Erfüllung spezifischer betrieblicher Anforderungen hinweist. Dies unterstreicht die fortschreitende Entwicklung hin zu effizienteren, automatisierten biopharmazeutischen Herstellungsprozessen, verdeutlicht aber auch die Komplexität und den Anpassungsbedarf, der für die Integration der Automatisierung in den gesamten Herstellungsprozess erforderlich ist.

Sie haben auch das Thema Nachhaltigkeit angesprochen. Können Sie die Rolle der Nachhaltigkeit im Zusammenhang mit Single-Use Proukten näher erläutern?

Nachhaltigkeit ist immer noch in erster Linie ein Anliegen der Gesamtunternehmensebene, hat aber in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen, insbesondere für die Einkaufsabteilungen. Während Ingenieure und technische Spezialisten immer noch am meisten damit beschäftigt sind, die besten technischen Lösungen für ihre spezifischen Herausforderungen zu finden, sind die Einkaufsabteilungen zunehmend damit betraut, nachhaltige Produktlösungen für den Einkauf zu finden. 

Da die Einkäufer immer mehr Wert auf Nachhaltigkeit legen, ist es für Unternehmen unerlässlich, nachhaltige Praktiken zu integrieren, um die Kundenanforderungen zu erfüllen und auf dem Markt wettbewerbsfähig zu bleiben. Dieser Wandel deutet darauf hin, dass die Bedeutung der Nachhaltigkeit auf breiter Ebene anerkannt wird.

Ralph, bevor wir zum Schluss kommen, möchten wir Ihnen die Gelegenheit geben, den Lesern mehr über BPSA zu erzählen. Warum glauben Sie, dass es für Unternehmen in der gesamten Wertschöpfungskette von Single-Use Technologie für Bioprozesstechnik wichtig ist, zumindest zu erkunden, was die BPSA zu bieten hat? 

Die BPSA spielt eine entscheidende Rolle im Bereich der Einwegtechnologie für die Bioprozesstechnik und bietet ein umfangreiches Netzwerk für alle Beteiligten - von den Lieferanten bis zu den Endverbrauchern. Die BPSA bietet eine außergewöhnliche Plattform für Unternehmen, um ihre Sichtbarkeit zu verbessern, aktiv an Sitzungen teilzunehmen und Networking-Möglichkeiten zu nutzen, um den Bekanntheitsgrad ihrer Marke zu steigern und Geschäftsbeziehungen zu knüpfen. 

Die BPSA hat verschiedene Ausschüsse und bietet ein jährliches Summit an, bei den verschiedene Themen aus dem Bereich Single-Use diskutiert werden.  Zudem publiziert die Organisation wertvolle Papiere, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen - zum Download auf der BPSA-Website. Auf diese Weise können die Mitglieder ihr Wissen einbringen und sich durch die Mitarbeit an Weißbüchern Anerkennung verschaffen, wobei ihr Firmenname in diesen Veröffentlichungen erscheint. Die BPSA bietet auch Schulungen, Webinare und weiteren Austausch an.

Dies ist eine einzigartige Gelegenheit für den direkten Austausch mit Branchenexperten und macht es für Unternehmen im Bereich der Single-Use-Bioprozesse unverzichtbar, das Angebot der BPSA zu nutzen.

Ein Highlight ist sicherlich auch der jährliche BPSA International Single-Use Summit. Der nächste findet vom 22.-24. Juli in Washington, D.C. statt. Ich kann jedem, der beruflich mit dem entsprechenden Geschäftsfeld zu tun hat, empfehlen, sich auf der Website der BPSA umzusehen und zu entdecken, was diese Organisation alles zu bieten hat.

RAUMEDIC dankt Ralph Daumke dafür, dass er sich die Zeit für dieses Interview genommen hat und seine wertvollen Erkenntnisse mit uns teilt.

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